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Statements der Erstunterzeichner_innen / Statements from the Initial Signers

Prof. Dr. Arnd-Michael Nohl

Leider lässt sich in der Öffentlichkeit eine zunehmende Radikalisierung rassistischer Positionen beobachten, die das Asylrecht nicht mehr nur verbal, sondern mit Gewalt bekämpfen und sich auf diese Weise aus dem demokratischen Konsens herauskatapultieren. Neben aller politischen Arbeit wird es in Zukunft darauf ankommen, diese Integrationsdefizite auch pädagogisch zu bearbeiten. Auf der anderen Seite ist eine enorme Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen zu verzeichnen, die mit einem wachsenden Verständnis für die Lebenslage und Motive der Flüchtlinge einhergeht. Es ist zu hoffen, dass sich diese Haltung – vielleicht auch mit Hilfe von Pädagogen und Pädagoginnen – verstetigt.

Prof. Dr. Stephan Bundschuh

Das aktuelle Bildungsversprechen, das teils dazu dient, gesellschaftliches Versagen als individuelles Versagen im Bildungsprozess darzustellen, zeigt aber auch, dass das Privileg der Bildung für wenige abgeschafft und damit Bildung und Macht für alle errungen werden könnte. Eine Bildungsrevolution jedoch wäre es nur, wenn aus Ausbildung für alle tatsächlich Bildung und Macht für alle würde.

Prof. Dr. Susan Arndt

Die Bezeichnung "Menschen mit Migrationshintergrund" beschreibt in der deutschen Sprache allein People of Colour. Dabei gibt es wohl keine Familie gibt, in der sich nicht Geschichten von Migration erzählen ließen. Deutschland ist längst ein Einwanderungsland und der Islam auch eine deutsche Religion. Dennoch:  Deutschsprachige Printmedien, Fernsehen, Schulbücher und Kinderbücher halten im Mainstream daran fest, Weißsein als Norm(alität) zu präsentieren, während sie sich gleichzeitig schwer damit tun, garstige rassistische Wörter um Erfindungen von 'Hautfarbe' konsequent zu meiden. Die weiße deutsche Mehrheitsgesellschaft steht vor der Herausforderung, sich Wissen darüber anzueignen, wie sie auf die transkulturelle Kontour ihrer LebensWelten reagieren kann und muss. Deutschland verlangt Menschen, die als Flüchtlinge aus einer Notsituation heraus ihr gewohntes Leben aufgeben müssen, ab, sich neuen sprachlichen und gesellschaftlichen Bedingungen anzupassen. Sprachtests, Einbürgerungstests, Gesinnungstests. "Integration" aber ist falsch verstandene Bildung, solange sie als Einbahnstraße durch deutsche Lande fährt. Gebraucht werden Brücken, die in alle Richtungen befahrbar sind. Multiplikator*innen in Bildung, Wissenschaft, Kultur und Politik stehen vor der Aufgabe, sich auf den Weg zu machen, sich und andere neuen Erzählungen über Deutschland, Europa und planetarisches Miteinander anzuvertrauen. Neue Visionen in verschiedenen Sektoren der Wissensproduktion und -vermittlung braucht das Land.

Dr. phil. habil. Hartmut M. Griese (Prof. i. R.)

Da der Begriff "Rassismus" im deutsch(sprachig)en Kontext zu sehr historisch und ideologisch belastet ist und von seiner Bedeutung und Assoziation her vom englischen "race" (teilweise) abweicht, sollte er durch den Terminus "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" (Heitmeyer) ersetzt oder zumindest ergänzt werden, da dieser stärker auf die Kriterien "Allgemeinen Menschenrechte" und "Menschenbild" verweist. In anderen Worten: Wenn wir heute von "Rassismus" in Deutschland sprechen, sollten wir diesen konkret benennen, ansonsten verharmlosen wir durch Generalisierungen in gewisser Weise den (organisierten massenmörderischen menschenfeindlichen)  "Rassismus" im Hitlerfaschismus.

Prof. Dr. Thomas Höhne

Eine solidarische Bildung im Sinne des Aufrufs setzt einen wichtigen Kontrapunkt zur gegenwärtigen Tendenz, Flüchtlinge und MigrantInnen nach ihrem politischen sowie wirtschaftlichen Wert zu unterscheiden und bewerten. So etwa, wenn sie unter humankapitalistischen Vorzeichen nach ihrer Bildung/Qualifikation entweder als wertvoll erachtet oder als ‚Wirtschaftsflüchtlinge’ abqualifiziert werden, wenn sie nicht über die ‚richtige’ Bildung, Qualifikationen oder Kompetenzen verfügen. Migration ist ein globales Phänomen und geschieht aus vielerlei Gründen, zu denen legitimerweise Armut und Not genauso gehören wie Krieg und politische Repression. Zudem stellen Flüchtlinge und MigrantInnen keine ‚Risikogruppen’ für das deutsche Bildungssystem dar. Vielmehr ist ihnen ist der gleichberechtigte Zugang dazu zu ermöglichen

 

Barbara Stauber

Alle gesellschaftlichen Bereiche sind derzeit aufgefordert, ihren jeweiligen Beitrag dazu zu leisten, dass Menschen nach lebensbedrohlicher Flucht ein Ankommen gelingen kann. Bildungseinrichtungen und Institutionen Sozialer Arbeit haben in diesem Zusammenhang eine zentrale Bedeutung für die Anerkennung und Fortführung (nicht nur) ihrer Bildungsbiografien - eine Rolle, die sie offensiv ausfüllen müssen. Das heißt: Zugänge zu Bildung zu erleichtern und Bildungsinteressen wie auch vorhandene Bildungsabschlüsse anzuerkennen. 
Der Aufruf macht darüber hinaus aber auch deutlich, welch umfassendes Bildungsprogramm mit einer rassismuskritischen Pädagogik in der Migrationsgesellschaft verbunden ist - ein wichtiger Orientierungsrahmen für die pädagogische Praxis, sei es an der Hochschule, sei es in Kontexten Sozialer Arbeit.
 

PD Dr. phil. Sven Sauter

Die aktuelle Situation in Europa macht eines ganz klar: Flucht und Migration lassen sich nicht länger als isoliertes Problem eines Staates oder einer einzelnen Flüchtlings- oder Einwanderergruppe verstehen. Es handelt sich dabei um ein globales Phänomen, das nur in einer weltgesellschaftlichen Dimension zu verstehen und zu lösen ist. Der Aufruf für Solidarische Bildung setzt ein starkes Zeichen gegen eine überall in Europa zu beobachtende Politik des Ressentiments und zeigt aus kritisch-reflexiver Perspektive auf: „Veränderung ist schwierig – aber möglich!“ (P. Freire). 

Prof. Dr. Susanne Lang

Im Zusammenhang mit dem aktuellen Flüchtlingsdiskurs werden die seit dem 11. September 2001 artikulierten Skandalisierungen des Islam als genuin gewalttätige Religion mit neuen Parolen und bildstarken Symbolen verstärkt. Selbst öffentlich-rechtliche Medienanstalten verwenden in vermeintlich objektiven und sachlichen Berichten, wie dem Bericht aus Berlin vom 4.10.2015 symbolträchtige Bilder der Pegida-Bewegung (Angela Merkel im Tschador) um gegen eine liberale Flüchtlingspolitik Argumente ins Feld zu führen, welche vor einer `Islamisierung´ der Bundesrepublik warnen. Der Migrationsforscher Klaus Bade hat schon 2013 eine zunehmende Verstrickung der bürgerlichen Mitte in den antislamischen Diskurs konstatiert."<!--break-->"Auch im Zusammenhang mit den noch nicht ausreichend aufgeklärten NSU-Morden stehen die Demokratiepädagogik und die politische Jugend(bildungs)arbeit vor der großen Herausforderung, die geschickt an der Grenze der Verfassungskonformität agitierenden neuen antiislamischen Bewegungen, als VerfechterInnen einer negativen Integration zu entlarven.

Prof. Dr. Bernd Overwien

Die politische Bildung in Deutschland beschäftigt sich bisher nur
relativ zurückhaltend mit Fragen globaler Entwicklungen. In der
derzeitigen Situation und angesichts der auf uns zukommenden
Herausforderungen, sollte eine gemeinsame Anstrengung unternommen
werden, zusammen mit den neu Angekommenen und den bereits in
Deutschland verankerten Menschen, eine gemeinsame Reflexion über die
globale Situation, verbunden mit notwendigen gesellschaftlichen
Grundwerten und ihrer Realisierung zu organisieren. Deutschland
scheint bei flüchtenden Menschen auch deshalb attraktiv zu sein, weil
sie den Eindruck gewinnen konnten, dass hier Menschenrechte ernst
genommen werden. Arbeiten wir gemeinsam, innerhalb einer
emanzipatorischen politischen Bildung, daran, dass möglichst viel von
diesen Hoffnungen als fundierte Realität bezeichnnet werden kann.